Prof. Uwe J. Reinhardt zum Projekt ZU MEINER EIGENEN VERBLÜFFUNG von Anne Schubert
Irgendwas stimmt nicht. Nachdem ich die Fotografien zum ersten Mal gesehen hatte, dachte ich, es würde sich bei der Maskenfigur um einen Primaten handeln, der wie im Sciene Fiction-Film mitspielen wollte und der sich in die japanisch anumutenden schwarzweissen Lichtbilder geschoben hat. Vermutlich von den Guerilla Girls so sehr optisch geprägt und konditioniert, die ich einmal im Whitney Museum eine Ausstellung habe stürmen sehen. Und ich dachte an japanische Bildbände der 60er Jahre, in denen oft etwas sehr merkwürdiges hinter einer banalen, also einfachen Bildsprache versteckt wird. Das Schaudern in den tiefen Schwarztönen. Ich sah die Bilder an einem Sommerabend zum ersten Mal und lief in die Irre. Nun, ich mag alle Arten von Haustieren auch nicht besonders, Aquarien einmal abgesehen. Und ein Aquarium kommt ja auch vor, oder täusche ich mich auch hier? Einige Zeit später wurde auch mir klar, ein Probedruck lag inzwischen auf meinem Tisch, dass es sich um einen Hundemenschen handelte. Da ging die Phantasie dann auch in eine neue und explodierende Rechercherichtung. An Windhunde erinnerte ich mich, weil ich als Kind einmal mit meinem blöden Onkel auf der Hunderennbahn gewesen bin, wo man lustige Hüte trug und auf den Gewinner wetten konnte. Glücksspiel mag ich auch nicht besonders, wie Hunde. Die Fotografien erscheinen so ruhig und selbstverständlich, dass mir keine Frage aufkam, zunächst. Das passte alles so sehr gut zusammen und dennoch war etwas auch falsch, stimmte nicht. Ähnlichkeitsgedanken. Jemand hat einmal alte Ehepaare mit ihren Hunden fotografiert, deren Ähnlichkeit wir uns dann schön einbilden können. Aber hier gibt es nichts zum einbilden. Es ist jeweils ein Mensch mit einer Hundemaske auf dem Kopf zu sehen. Ein Hundemensch wird es wohl kaum sein. Oder verschwört sich hier etwas? Afghanischer Windhund. Vom Hindukusch. Das wiederum klang wie Alarmglocken.
Was also soll das, wozu ist es gut und was will uns dies sagen? Klar, alle Tiere sehen sich manchmal und entsprechend abgelichtet und eingebildet irgendwie ähnlich mit dem einen oder anderen Menschen. Ein Formspiel der Ähnlichkeiten. Ein verblüffendes Phänomen. Menschen mit Hunden gibt’s es natürlich allüberall zu viele eigentlich und die Literatur ist voll von Pudeln und Kernen. Erst dachte ich ja, es wäre irgendein zotteliger Pudel, der Pate für eine Maske war. Goethe oder Schopenhauer. Aber auch das nur so eine Idee. Lange Zeit versuchte ich die Bilder zu betrachten ohne die seltsame Figur zu beachten. Aber das ging nicht auf Dauer.
Die Orte der Bilder sind unverdächtig, es gibt Räume, Landschaften, im Wald, am Meer. Das ist das Panorama der ganzen Welt, ich kann keine Erklärung darin finden, die Fotografin reist offenbar umher und trifft überall maskierte Menschen oder halbe Hunde. Die Orte und Situationen sind schön und nur durch die maskierte Form werden sie wunderlich. Die Figur ist jeweils ruhig und im Stillstand getroffen, irgendwie ein Porträt ohne Porträt sein zu können. Aber es wirkt angekommen, geradezu Zuhause. Die Bilder erschienen wie Dioramen im naturhistorischen Museum und eben jetzt frage ich mich, ob nicht alles im Studio oder Holodeck entstanden ist. Irgendwie ist die maskierte Figur immer plötzlich und selbstverständlich da; einigen wir uns mal vorläufig darauf, dass es keine Hundemenschen gibt. Obwohl es ja Meerjungfrauen und Einhörner auf jeden Fall gibt. Es ist kein Spiel, keine Provokation und auch kein Spass. Es verbirgt etwas im Offensichtlichen, verhüllt etwas in der Tarnung. Aber was? Ich brauche meine ganze Vorstellungskraft, um zu entdecken wo dieses geistige Zuhause liegen könnte, im plötzlichen Erscheinen der Idee.
Man blickt hinein in die Szenerie und entdeckt nichts anderes. Es gibt nichts Seltsames außer dem Seltsamen höchstselbst. Wunderliche Bühnenbilder für eine Oper, für eine Komödie, eine Tragödie doch? Masken gehören auf Bühnen. In die Szenografie. Blick ins Land, in die Zimmer, Hotels oder Badewannen. Pools kommen oft vor, das erinnert an Krimis oder Kindheiten. Ein Schneewald. In den Bergen. Filmsets? Modeszenen kommen einem in den Sinn. Gartenszenen, die ohne Maske poetisch wären. Am See, am Tümpel, am Teich? Bei der Kirschblüte? Im Supermarkt. Wieder im Pool, diesmal tauchend. Abtauchend. Wir haben zu viele Spielfilme gesehen, die uns gleich ganze Drehbücher einblenden. Manchmal tänzelt der Bär, also die Figur, wie Julia am italienischen Fenster oben. Es wird gebacken, was auch wieder an Hexen denken lässt. Es ist kurz vor 6 Uhr. Im Landhaus. Ein sehr großes Brötchen und Kaffee. Auf dem Feld, am Hügel. In einer Küche, eilig. im Aquarium, also dahinter eher. In einer edlen Wohnung. Am Wasser, am Meer. Auf einer Liege, am Wintersee. Das liest sich wie ein Gedicht nun. Ein Mann in der Küche. Unter dem Baum bei der Landpartie. Im Billigflieger. Und ein Hund mit Hund, mit zwei Hunden. Eine banale Spülmaschine wird eingeräumt. Im Künstlerinnenatelier. Im Hörsaal oder Büro? Im Schwarzweißwald.
Irgendwas ist in dieser Ruhe und Konzentration auch unbehaglich. Verstörend. Sei immer größer als der Augenblick, lese ich. Was kippt aus der Balance? Diener zweier Herren. Ein Mythos. Wir wissen es nicht. Die Maske. Verhüllendes Entbergen. Aussicht. Offene Tage und milde Gestimmtheit. Nichts ist bedrohlich. Die Felder der Bilder sind Ausgangspunkte für Geschichten. Als Kind kommt einem das niemals merkwürdig vor. Und uns täuscht dieses Verstecken und Tarnen und Verzaubern, weil wir dazu keine Orientierung haben oder keine Phantasie. Wir brauchen Orientierung. Sind es Märchen? Oder Spiegelungen? Oder ist ein getarnter Schamanismus am Bilderwerk, der uns in der Verwirrung weiter ins Labyrinth drücken will. War nicht im antiken Theater auch eine Maske von zentraler Bedeutung und in der chinesischen Oper oder im japanischen Nō-Theater? Harlekins und Bajazzi erinnern mich an venezianische Nächte und Sinnbilder für merkwürdige Rituale. Aber die Gesichtsverkleidung ist ohnehin suspekt, den Herren dieser Welt: Brauchtum hin oder Schutzmasken her. Hunde sind vom Vermummungsverbot ausgenommen. In Bolivien, sagt jemand neben mir, würden Schuhputzer das Gesicht verhüllen (ob das stimmt, glaube ich nicht). Mehr erinnert es mich an das lyrische Ich eines Peter (Achtung:) Gabriel der Band (Achtung:) Genesis, der als Fuchs („Foxtrot“) oder alter Mann erschien. Wer weiß was in Masken so alles getrieben wird? Bankräuber oder Rapper sind da schon einmal harmloser dabei. Schutz. Tarnung. Verdrehung.
Da passt der Afghanische Wundhund auch doch ganz gut dazu, der schon 400 v. Chr. in den Nomadenlanden unterwegs war, geradezu geeignet für das Privileg der Beizjagd durch die Steppe. Steppe übrigens kommt in den Fotografien auch nicht vor. Ist auch weit weg, also die Steppe. In Wirklichkeit ist dieser Hund aber besonders in England beliebt, für Windhundrennen und weitläufige Spaziergänge. Aber die Engländer sind raus bei solchen Sachen. Ist es also doch ein Experiment, um uns auf den Leim zu führen? War nicht der Pudel auch teuflisch was anderes? Bestimmt ist alles ein Missverständnis, eine unverstandene Maskerade, eine geplante Überforderung. Es regiert die Tyrannei der Verkleidung. Papageno. Wenn es doch eine Oper wäre, welche Musik würde passen? Die Bilder sind ja doch so still und angehalten, so beruhigt und langsam bedacht. Keine Blendung. Zitate aber überall, sicher als Hommage gedacht an die Collage und verdrehende Montage.
So sollen auch die Hunde sein, sanft, ruhig und unauffällig – naja, kann man so nicht wirklich sagen. Jedenfalls amtliche Jagdhunde mit Patent. „Sein Gang gilt als stolz, was auch sein Wesen wiedergeben dürfte. Unabhängigkeit und absolute Ruhe sind Markenzeichen dieses Hundes in jeder Ausbildungsart. Jedoch sind Afghanen auch sehr sensibel und können bei falscher Handhabung misstrauisch gegenüber Fremden werden. Mit Kindern kommen sie gut klar, jedoch sollten diese auf Grund der Größe der Rasse schon etwas älter sein, um mit dem Hund alleine Gassi zu gehen.“ Das Lexikon der Netze weiß ja alles ganz genau. Das lange und seidige Fell darf alle Farben aufweisen, wobei die Farben Rot, Creme, Silber, Schwarz, Schwarzbraun, Silber-schwarz, Blau, elfenbeinfarben und Domino am häufigsten vorkommen. Oder ganz weiß. „Kopf mit und ohne schwarzer oder blauer Maske.“ Da haben wir’s, mit Maske.
Das Wort Maske kommt eigentlich aus dem Arabischen, von arabisch maskharat, was soviel wie Narr, Posse, Hänselei oder Scherz bedeuten kann. Es kommt also aus dem Arabischen. Alles kommt von irgendwo anders her, begreift das mal jemand, alles ist migriert?
Das Gesicht wird bedeckt. Rituell oder religiös dient die Bedeckung irgendeinem mehr oder oft weniger sinnvollen Zweck. Man denke an Kostüme, aber mit Kostümen haben unsere Lichtbilder überhaupt nichts zu tun. Als Schutzmaske kann sie dem Schutz des Gesichts oder Teilen davon dienen. Verhüllung des Körpers. Die Ethnologen machen es sich wieder einfach, eine Maske könne sehr unterschiedliche Aufgaben in verschiedenen Zusammenhängen erfüllen, so kann sich ihr Träger mit ihrer Hilfe in eine dargestellte Figur verwandeln, im sogenannten Tierrollenspiel etwa oder die Maskierung ermöglicht die Einübung neuer oder übernommener sozialer Rollen. Schön, hat aber nichts mit unserem Thema zu tun. Wesenheiten oder Hilfsgeister, inkarnierte Naturkräfte irgendwelcher Zwischenwelten sind uns suspekt, insbesondere wenn sie mit verwirrten Ahnen und wunderlichen Göttern vermitteln sollen. Das ist uns doch fremd.
Die fotografischen Bilder sind zu ruhig für meine Gedanken. Schützend versteckt. Glück, manchmal ein Tag, da ist alles richtig, von Anfang an – und das in Bildern erzählen. Im Moment gesichert: Moment, diese eine Stelle, wo alles in sich ruht und wohl gestimmt ist. „Jede Ordnung ist gerade in diesen Bereichen nichts als ein Schwebezustand überm Abgrund … das einzige exakte Wissen, das es gibt“, hat Anatole France gesagt. Sieh da, der schöne Schopenhauer ging mit dem Pudel, der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß ein Großes. Hundstage. Was aber weiß der Afghane? Was der Windhund? Was könnte der Wind, der offenbar nicht weht in diesen Bildern uns zuflüstern? Die Fotografin sagt jedenfalls nichts. „This landscape was part of my energy, my body. I loved it not because it was a view – but because I participated in it.“ Das ist von John Berger, glaube ich. Einmal kann es auch so sein. Oder wieder ganz anders. Ich weiß es nicht. Der koreanische Dichter Ko Un wollte einmal über alle Personen, die ihm in seinem Leben begegnen, ein Gedicht schreiben. Das wäre schön, oder eine Fotografie machen.